Der Body-Mass Index

Am Ende dieser Seite gebe ich eine anschauliche Interpretation des zur Quantifizierung von Übergewicht benutzten Body-Mass-Index, nachdem ich ihn in den Kontext der Biopolitik und des ästhetischen Diskurses seit der Renaissance eingeorgnet habe.

Die Maße des Menschen

Seit der Renaissance gibt es in Kunst und Architektur die Idee, eine harmonische Gestaltung durch die Orientierung an den als ideal gedachten Maßen des menschlichen Körpers zu finden. Jeder kennt die aus dieser Tradition stammende Zeichnung des Menschen nach Vitruv von Leonardo da Vinci, die um einen menschlichen Körper eine geometrische Figur aus Kreisen und Quadraten konstruiert. Derartige auf den Menschen bezogene konstruktionen sind oft benutzt worden, um optimale Dimensionen für die Gestaltung von Bildern, Gebäuden oder Buchstaben zu gewinnen. Ein letzter Versuch, architektonische Maße aus den Proportionen des menschlichen Körpers abzuleiten, ist vielleicht der Modulor von Le Corbusier.

Die Masse des Menschen

Mit der Ausdehnung der politischen Verfügungsgewalt über immer größere Teile der biologischen Funktionen des Menschen ist in diesem Jahrhundert aber eine andere Art von Idealmaßen immer wichtiger geworden: Nicht der Mensch als Maß für die von ihm geschaffenen Dinge, sondern gesetzte Vorgaben für die Idealmaße, denen ein Mensch genügen soll, damit er in der industrialisierten Gesellschaft reibungsfrei funktioniert und seine Arbeitskraft reproduzieren kann. Die Illustration, die in der Renaissance ästhetische Funktionen hatte, erscheint jetzt regelmäßig auf den Mitgliedermagazinen von Krankenkassen als eine Ikone der Gesundheit. Eine besondere Bedeutung hat dabei der Kampf gegen das Übergewicht, das als Auslöser vieler wichtiger sog. Zivilisationskrankheiten erkannt ist.

Traditionell wird dies über die Idee eines Idealgewichts vermittelt, das sich etwa aus der Formel Körpergröße minus 100 ergibt, ggf. mit Modifikationen für Geschlecht oder Alter der Person. Dies ist eine recht anschauliche Größe, hat aber den Nachteil, dass sie für jeden Menschen eine individuell zu bestimmenden Wert hat, Abweichungen also auch nur relativ zu einer je individuellen Skala messbar sind. Hier setzt der Body-Mass-Index (BMI) oder Quetelet-Index an, der das Gewicht auf eine für alle Menschen gleiche Skala reduziert. Er berechnet sich nach der Formel Masse (in Kilogramm) geteilt durch das Quadrat der Körpergröße (in Metern). Eine Person von 66 kg mit einer Größe von 1,72 m hätte also einen BMI von 66 / 1,722 = 22,3. Alles, was über dem Wert von 30 liegt, wird als krankhaft betrachtet.

Die Bedeutung des BMI

Auf den ersten Blick sieht der BMI wie eine völlig abstrakte Kenngröße aus, die vor allem dazu dient, das Idealgewicht als eine allen verständliche Größe durch ein kompliziertes Konzept zu ersetzen, das nur Ärzten und vergleichbaren Experten wirklich verständlich ist. Dabei besitzt auch der BMI eine ganz anschauliche Erklärung. Sie erschließt sich, wenn man die gewöhnlich weggelassenen Einheiten genauer betrachtet: [kg] / [m2], also eine Flächendichte.

Teilt man den BMI durch die Dichte des menschlichen Körpers, die ziemlich genau die von Wasser ist, so erhält man eine Länge: Der BMI ist also die Dicke der Schicht (in Millimeter), die sich ergibt, wenn man einen Menschen auf das Quadrat auswalzt, das in der Renaissancekonstruktion eines idealen Verhältnisses seinem Körper umschrieben wird. Der Mensch aus dem Beispiel oben würde eine 22,3 mm dicke Breischicht ergeben, und ab drei Zentimeter Schichtdiche ist Übergewicht krankhaft.

Florian Hars <florian@hars.de>, 2007-10-15 (orig: 1998-09-14)